Yvonand-La Baumaz (Germania superior)
Mosaik mit Darstellung des Orpheus unter den Tieren; FO: Villa von Yvonand-La Baumaz:
Unter den überhaupt bekannten Mosaiken mit der Darstellung des Sängers Orpheus, der mit seinem Trauergesang um Eurydike die wilden Tiere zum friedlichen miteinander Zuhören bewegen konnte, gibt es einige, die man im Anschluß an Bemerkungen in der antiken Literatur als Wiedergabe des Orpheus-Mythos in der Arena oder im Theater verstehen darf. Dies gilt für solche Mosaiken, deren weitere Bildthematik eindeutige Darstellungen aus der Arena, dem Zirkus oder dem Theater beinhaltet und die auf diese Weise den Orpheus-Mythos in einen historischen Kontext von Spieleaufführungen versetzen. Solches sind die Mosaiken aus Rottweil, gleich 2 oder 3 verschiedene auf Kos oder eines aus Milet. Andere sind in ihrer Bildersprache nicht so eindeutig, sind unter Berücksichtigung des allgemeinen Kontextes des Orpheus-Mythos in der römischen Kultur aber sicherlich auch als Reflexe solcher Veranstaltungen zu sehen. Ikonographisch spiegelt sich dies in der Auswahl der den Kitharöden umgebenden Tiere, die enge Bezüge zu den Tierkatalogen von venatio-Darstellungen liefern (vgl. Mainz, Vienne). Zusammen mit dem fragmentarisch erhaltenen Orpheus-Mosaik von insula 31 in Avenches kann man eine gewisse Beliebtheit dieses Themas im Umfeld von Aventicum feststellen und sich sogar fragen, ob das Thema des Orpheus nicht zum wiederkehrenden Repertoire der dortigen Aufführungen in der Arena (oder dem Theater) gehörte.
Das Orpheusmosaik aus dem frigidarium des Bades einer Villa von Yvonand-La Baumaz ist heute weitgehend zerstört. Über seinen Zustand hatte sich bereits Johann Wolfgang von Goethe in sehr drastischer Form beklagt. Es ist in verschiedenen Stichen überliefert, die untereinander jedoch nicht widerspruchsfrei sind. Außen ist es von einem Peltenmuster umgeben. Darauf folgen nach innen aus Krateren entwachsende Akanthusranken. Das eigentliche Bildfeld wird von einem Trichterflechtband umrahmt, die einzelnen Kreise nach Ritter von einem einfachen Flechtband, nach Boily von einem S-förmigen Band, was allerdings ungewöhnlich wäre. Mit von Gonzenbach wird man diese Ornamentbordüren in die frühseverische Zeit datieren. Das Hauptbildfeld stellt den Ausschnitt eines Kreisrapports dar, der in den Ecken durch das Einsetzen von quadratischen Feldern anstelle von Viertelkreisen unterbrochen ist – eine Besonderheit, die gerade im Gebiet der Schweiz gelegentlich begegnet. In den vier Halbkreisfeldern sind ein Panther, ein Bär, eine weitere Raubkatze und ein Pferd oder Maultier abgebildet. Auch in die Eckfelder setzte man Tiere und keine unfigürlichen Ornamente: Ziege und Ziegenbock sowie Hirsch und Hirschkuh meint man wiederzuerkennen. Zwischen diesen vier Eckfeldern und dem Zentralmedaillon steht je ein weiterer Vogel, die allesamt nicht mehr genau bestimmbar sind; das lange Schwanzgefieder dürfte jedoch wenigstens bei einem Exemplar auf einen Pfau deuten. Im Mittelmedaillon saß Orpheus scheinbar auf einem Löwen, doch ist dies nach der geläufigen Ikonographie eher so zu verstehen, dass der Sänger auf einem Felsthron saß und dahinter der ruhende Löwe hervorschaute. Der Blick des Orpheus ging nach den Stichen von Boily entweder nach rechts oder gemäß Ritter nach links. Einheitlich wird überliefert, dass er einen Lorbeerkranz im Haar trug - eine Anspielung auf den Siegerkranz in Agonen? - und nicht die ihn sonst so oft kennzeichnende phrygische Mütze. Im Hintergrund des Mosaiks stand ein dürres Bäumchen mit einem Vogel darauf, ein weiterer saß auf der Kithara.
Die Kithara stellt die „thrakische“ Form dar. Vom Rücken fällt ein roter Mantel herab, dessen Enden sich sowohl über den rechten als auch linken Oberschenkel legen. Der Schultergurt begegnet häufig bei Kitharöden. Dies Darstellung dieses Orpheus weist in ihrer Körperhaltung eine starke Ähnlichkeit von dem in Pompeji in einer Wandmalerei der Casa del Orfeo erhaltenen auf. Diese enge Beziehung unterstreicht auch der hinter dem Felsensitz hervorschauende Löwe, der auf dem Schweizer Mosaikboden lediglich seitenverdreht wiedergegeben wurde. Vergleicht man nun noch den in Pompeji von der rechten Seite hochschauenden Panther mit seinem recht zierlichen Kopf, so hat man sich zumindest zu fragen, ob nicht der Hund in Boily’s Stich eine mißverstandene Darstellung eines solchen Panthers sein kann. Dies ist aber nur eine Möglichkeit, denn der zu Füßen des Orpheus sitzende Hund oder Fuchs ist ein verbreitetes Bildmotiv an dieser Stelle. Umso mehr könnte die Wiedergabe bei Boily richtig sein, da der Figurentyp des Mosaiks aus Yvonand ebenso wie das Bild aus Pompeji für die Darstellung des Orpheus auf dem Mosaik von Mainz maßgeblich gewesen sein kann, wo der kleine Vierbeiner erhalten ist.
Die sich in Pompeji um Orpheus lagernden vier Tiere Löwe, Panther, Wildschwein und Hirschkuh zählen allgemein zu den bevorzugtesten Zuhörern im Auditorium des Sängers. Sie entstammen einem Tierrepertoire, das vielseitig verwendbar und auch bei Szenen aus der Arena gut nutzbar war.
Literatur: E. Ritter, Antiquités de la Suisse (1786-1798) Blatt 24-25; V. von Gonzenbach, Drei Orpheusmosaiken aus der Waadt, Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Urgeschichte 40, 1949/50, 273 ff. Taf. 38; dies., Die römischen Mosaiken der Schweiz, Monographien zur Ur- und Frühgeschichte der Schweiz 13 (Basel 1961) 235 f. Taf. 39; M. Ruetz - M. Müller, Mit Goethe in der Schweiz (Zürich/München 1979) 59 Abb.; I.J.Jesnick, The Image of Orpheus in Roman Mosaic - An Exploration of the Figure of Orpheus in Graeco-Roman Art and Culture with Special Reference to ist Expression in the Medium of Mosaic in Late Antiquity. BAR Int. Ser. 671 (Oxford 1997) 137 Nr. 53; Y. Dubois, Le pave à la mosaïque, grandeur et décrépitude, The Ancient World Online (AWOL) 5, 1999, 76-85; R. Gogräfe, Die Wiedergeburt des Mainzer Orpheus (Mainz 2007) Abb. S. 14.